Die Bergtour auf die Dent Blanche 4’357 m.ü.M.

Als ich frühmorgens im Halbschlaf zum Bahnhof laufe, um meinen Lieblingszug* um 05:37 zu erwischen, wird mir klar wie nervös ich eigentlich bin. Gestern habe ich das Haus nur kurz verlassen: Lauftraining am Morgen und ein vergeblicher Gang zum Bäcker, der im Urlaub weilt. Danach bin ich den ganzen Tag in meiner brütend heissen Dachwohnung herumgewirbelt: Wäsche waschen, Steigeisen anpassen, Resten aufessen oder einfrieren, Rucksack ein und wieder aus packen und erneut einpacken. Ein Nickerchen am Nachmittag und das Brot halt selber backen. Das Brot von der Tanke schmeckt nicht mir.

„Für eine edle Bergtour müssen edle Sandwiches her“- Conisophie der Woche. Mein Favorit zur Zeit ist Avocado mit  getrockneten Tomaten.

Jedenfalls haben Rucksack und Klamotten gestern Abend für die Unternehmung „Dent Blanche“ bereit gelegen. Fertig gepackt (und viel zu schwer) für einen zeitoptimierten Ablauf in schlaftrunkenen Zustand. Frühmorgens entledige ich mich dann noch einiger Gadgets wie z.B. der Powerbank und optimiere damit das Gewicht. Der unzuverlässige Akku des iPhones nervt. Doch es müsste dann eben ohne gehen. Digital Detox.

Im Zug ins Wallis wartet schon meine Freundin und Bergführerin Andrea (Alpinmaus) auf mich. Wir sind bereits zum vierten Mal für die Dent Blanche verabredet. Nach einer entspannten Kaffeefahrt quer durch die Schweiz, erreichen wir über eine sagenhaft enge Strasse, die entlegene Ortschaft Ferpècle.

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Der „Berg der Begierde“, die Dent Blanche, steht zu hinterst im Val d’Hérens. Er ist einer der abgelegendsten 4000er der Schweiz. Nur noch das Lauteraarhorn hat einen längeren Zustieg.

Respekteinflössend steht die Dent Blanche zu hinterst im Val d’Hérens. Original hätte die Dent Blanche deshalb Dent d’Hérens geheissen. Die Dent d’Hérens gibt es tatsächlich. Doch die steht weiter südlich, näher beim Matterhorn. Die Namen der beiden 4000er wurden bei der Abschrift früher Landkarten vertauscht. So lautet jedenfalls die Legende.

Es gibt wenige 4000er in der Schweiz, die so entlegen sind. Dafür steht die Dent Blanche isoliert, wunderschön und imposant, inmitten einer atemberaubenden Gletscherwelt.

Der Zustieg zur Hütte auf rund 3500 m ist einer der längsten der Alpen. Der Weg steigt ab Ferpècle erst sanft durch einen lichten, grünen Lärchenwald. Die Geräuschkulisse bilden Wassermassen, die von den höher gelegenen Gletschern herab stürzen. Bald schon wird der Weg steiler, bis er sich nach gut zwei Stunden in Steinbrocken und Geröll verläuft. Lediglich die Blau-Weisse Markierung weist nun die Richtung. Das Weiterkommen wird abenteuerlich, denn es gilt über Gesteinsbrocken zu balancieren und wild sprudelnde Wasserläufe zu überqueren. Als ob die Landschaft mit dem blauen Himmel, den Glescherabbrüchen und den hohen Bergen nicht schon Augenweide genug wäre, nun erfreut zu alledem noch ein milchig-grünlicher Gletschersee das Auge des Betrachters. Auch ein mystisches Gletschertor kann man von weitem bestaunen. Die rostroten Felsbrocken welche die Szenerie bedecken sind das iTüpfelchen. Bei entsprechendem Licht würde diese Landschaft wahrlich ein bezauberndes Fotomotiv abgeben.

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Besser als jeder Infinitypool: Direkt mit Eiswasser gespiesen und die Kulisse ist ganz grosses Kino. Wäre dieser Gletscherpool nicht genau das Richtige bei 35 Grad?

Wir wandern über grosse sanft gerundete Gneisplatten; – blank poliert von längst weggeschmolzenen Eismassen vergangener Zeitalter. Nachdem wir über steile Kehren unserer Wegspur einen Grat erreicht haben, kraxeln wir über Felsblöcke immer höher. Zu guter Letzt folgt ein kurzes Stück über einen Gletscher und wir erreichen die Cabane de la Dent Blanche.

Die Hütte ist „old school“. Lediglich die Latrine befindet sich mitlerweile im Haus. Dies hat zur Folge, dass feine Nasen den üblen Gestank selbst im Massenlager noch wahr nehmen. Dafür gibt es fliessend Wasser. Für eine Nacht wird es diese Unterkunft mit ihrem herben Charme tun. Es gibt eine Matratze zum schlafen und Verpflegung.

Nach der Ankunft lege ich mich gleich hin. Es wird eine kurze Nacht. Schlaf auf dieser Höhe, mit fast 20 anderen im selben Raum, ist schwer zu finden. Zudem habe ich meine Ohrstöpsel vergessen – ein Kapitalfehler. Trotzdem nicke ich bereits nach kurzer Zeit ein. Wenige Minuten später weckt mich jedoch ein Helikopter, der direkt vor der Hütte landet.

Bersteiger verunglückt an der Dent Blanche
Die Bergung wird vor der Cabane de la Dent Blanche vorbereitet

Ein Bergsteiger ist im Abstieg verunglückt. Er hat sich aus unerklärlichen Gründen am Ende einer Abseillänge vom Seil gelöst und wollte ungesichert (in relativ einfachem Gelände) weiter absteigen. Dabei ist er vor den Augen seiner Kameraden ausgerutscht und in die Tiefe gestürzt. Seine Kameraden werden zu uns auf die Hütte geflogen. Sie stehen unter Schock, können das Geschehene nicht fassen, sind hilflos.

Kurz vor 4 Uhr schälen wir uns aus den Schlafsäcken und falten unsere Bettdecken zusammen. Das trockene Brot wird mit reichlich Butter und Konfi geniessbar und mit Hilfe von Tee, als „Brennstoff“ für die kommenden Stunden zugeführt (ja – ich freue mich dann wieder auf einen schönen Brunch zu Hause). Um 4:30 steigen wir im Schein der Stirnlampe höher. Ich bin dankbar, dass ich meiner Bergführerin folgen kann und noch nicht denken muss. Das Tempo erscheint mir sportlich und ich beginne gleich zu schwitzen. Meine Beine sind tiptop und so reklamiere ich nicht, sondern strenge mich ein bisschen an.

Bei Tagesanbruch haben wir bereits den Grat erreicht. Ein farbenprächtiger Sonnenaufgang bleibt uns heute verwehrt. Dies tut der Schönheit und Erhabenheit der Landschaft ringsum keinen Abbruch. Linsenwolken hängen über den östlichen Gipfeln und eine Wolkenschicht bedeckt den Himmel. Von Südwesten her reisst die Wolkendecke auf.

Südgrat der Dent Blanche und die Dent d'Hérens.
Erste Sonnenstrahlen am Südegrat und im Hintergrund die Dent d’Hérens.

Am Horizont gleisst das Mont Blanc Massiv hell im Licht der Morgensonne. Es ist schön hier zu sein.

Blick nach Westen: Mont Blanc im Morgenlicht
Ganz im Hintergrund winkt der Mont Blanc in der Morgensonne.

Es ist etwas windiger und kälter als ich es mir beim Packen des Rucksacks (bei 35 Grad in Zürich) vorgestellt hatte. Ich bereue meine dicken Fäustlinge nicht mitgenommen zu haben. Spätestens als wir durch ein gefrorenes Firncouloir hinaufpickeln, sind meine leichten Handschuhe durchnässt und ich friere erbärmlich. Ich habe noch ein Paar Gartenhandschuhe als Ersatz dabei (die Handschuhe gehen ohnehin immer kaputt am Fels), diese sind jedoch nicht gefüttert. Schliesslich erbarmt sich Andrea meiner und leiht mir ihre gefütterten (aha – Bergführer haben gefütterte Gartenhandschuhe – unglaublich) Gartenhandschuhe.

Rechtzeitig zur schwierigsten Kletterstelle bekomme ich ordentlichen „Kuhnagel“ und meine Hände erlangen ihre volle Funktionstüchtigkeit wieder. Der Fels ist granittmässig fest und wunderbar zu klettern. Über und rund um verschiedene Türmchen auf dem Grat steigen wir immer höher. Zwischendurch klettern wir in der Sonne auf der Ostseite. Danach geht es wieder in eine Querung auf der schattigen Westseite, wo die dunklen, grünlichen Felsen mit dünnem Eis überzogen sind. Ein gefrierschrankähnliches Couloir führt zurück hinauf auf den Grat. Schliessilch montieren ein letztes Mal die Steigeisen. Wir passieren nicht nur Flecken mit Schnee und Eis, sondern auch eine Stelle mit bemerkenswert weissem Fels.** Nach dem atemberaubenden Schlussanstieg im Firn – ich bin tatsächlich nur noch zum Gehen in Zeitlupentempo fähig – erreichen wir den Gipfel auf 4’357 m. ü. M.

Coni auf dem Gipfel der Dent Blanche
Gehen geht nur noch im Zeitlupentempo – aber Posen fürs Gipfelfoto geht immer. 😉

Schnell sind die Gipfelfotos geschossen und wir machen uns an den Abstieg. Die Temperatur verleitet einem nicht zu einer längeren Rast. Mir scheint Andrea drückt etwas aufs Tempo. Dies ist allenfalls der möglichen aufkommenden Gewitter geschuldet. Nachem sie mich zwei Mal abgeseilt hat, bin ich dermassen erfreut und motiviert, dass auch ich einen Zahn zulege. Wir schliessen rasch zu den Seilschaften auf, die uns voraus sind. Bald schon sind wir zurück auf der Hütte. Die Wolken haben sich nun ganz verzogen und wir geniessen „eitel Sonnenschein“ auf dem Weg zurück ins Tal.

Andrea und Coni mit der Dent Blanche
So macht Wellenessurlaub unter Freundinnen Spass 😉

* „Lieblingszug“ mit leicht ironischem Unterton. Ich schätze einen frühen Tagesanfang, doch irgendwie steht eine Vier vorne an der Uhrzeit des Weckers für zu wenig Schlaf. Bei zu wenig Schlaf, neige ich dazu schnell knatschig zu werden.

** Mit so einem hätt‘ ich gern mein Bad geplättelt!

NZZ Artikel zum Val d’Herens und der Dent Blanche

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